Die USA in den 50er-Jahren. Nach außen hin eine heile Welt, doch inmitten der amerikanischen Vorstadtidylle wird ein Junge mit unvorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert. Jack Ketchum zeigt in seinem beunruhigenden, grenzüberschreitenden Horrorthriller die Abgründe der menschlichen Seele auf.
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Kritik:
Der
Klappentext lässt nicht viel über den eigentlichen Inhalt des Buches
verlautbaren, darum nehme ich mir hier die Freiheit, ein bisschen weiter
ins Detail zu gehen. Ketchum beschreibt in diesem Roman, was Menschen
anderen Menschen antun können. Schutzbefohlenen, deren Freunden - und
nicht zuletzt auch, was für Auswirkungen das Handeln eines Einzelnen auf
das Leben von vielen anderen, nicht zuletzt auch von Unbeteiligten,
haben kann. Ketchum gilt als einer der härtesten Autoren der modernen
Horrorgeschichte - und Evil, so zumindest eine häufig gehörte Meinung,
ist hierbei das Kronjuwel in seinem Repertoire. Große Worte, welche sich
teilweise durchaus bestätigt haben. Auch wenn der Roman (wie eigentlich
alles, was ich in letzter Zeit gelesen habe) mal wieder aus der Sicht
der Hauptfigur erzählt wird. Ebenfalls erwähnenswert ist, dass diese
Geschichte, so traurig wie es klingt, sich tatsächlich in den 50er
Jahren abgespielt hat - was sie noch etwas grausamer werden lässt, als
es bei reiner Fiktion ohnehin schon der Fall wäre.
Die
Geschichte an sich ist dabei nicht einmal sonderlich ungewöhnlich. Eine
Kleinstadt, in der jeder jeden kennt - insbesondere in der kleinen
Einbahnstraße direkt am Waldrand. David, eines der Kinder aus dieser
Straße, trifft beim spielen am Fluss ein Mädchen welches er noch nie
gesehen hat - es stellt sich heraus, dass es die Ziehtochter seiner
Nachbarin ist. Die beiden beginnen, sich anzufreunden. So weit, so
normal. Das erste Drittel des Buches beschäftigt sich zum Großteil
damit, die Beziehung zwischen Meg und David aufzubauen - um sie dann
ganz schnell zu zerstören und ins Gegenteil umzukehren. Ketchum versteht
es sehr gut, von einer durchaus "liebenswerten" Geschichte innerhalb
weniger Seiten zu etwas umzuschlagen, was zwar durchaus als brutal, aber
immer noch als irgendwie nachvollziehbar bezeichnet werden kann. Die
Strafen, welche Megs Stiefmutter an den Tag legt sind hart - aber
traurigerweise auch in manchen Haushalten wohl alltäglich. Die
Steigerung erfolgt ab diesem Punkt aber schnell und konstant, so dass
der Autor seine Protagonisten schließlich in eine Situation stößt, die -
vor allem für Meg, welche sich als Gefangene im Keller den
Grausamkeiten ihrer Stiefmutter und jedem Kind, welches gerade Interesse
an ihr hat - ausgesetzt wird. Ketchum schafft es hierbei, den Leser auf
einem Grad zwischen Faszination und Ekel schreiten zu lassen, der zum
Ende des Buches hin immer dünner wird. Tatsächlich dürfte es ihm
gelungen sein, dem einen oder anderen Leser die Frage einzupflanzen, was
wohl hinter den geschlossenen Türen seiner Nachbarn vorgehen mag. Die
Härte hierbei liegt nicht in den expliziten Schilderungen - obwohl diese
teilweise nicht ohne sind, auch wenn Ketchum bei einer der härtesten
Stellen seinen Hauptcharakter diese "einfach nicht schildern lassen"
will. Muss auch nicht sein, denn die eigentliche Brutalität des Buches
liegt mehr auf der psychologischen denn auf der grafischen Ebene.
Die
Charakterzeichnung ist dabei gut gelungen, auch wenn sie sich in erster
Linie auf David und seinen Freundeskreis beschäftigt. Tiefgehend wird
schließlich nur die Hauptfigur auseinander genommen, der Autor schafft
es hierbei jedoch, auch die Nebenakteure nicht langweilig oder
oberflächlich wirken zu lassen. Vor allem aber gelingt es ihm, Davids
Gedankengänge und seinen Werdegang im Laufe der kompletten Geschichte zu
verstehen - und sich mit ihm zu schämen, teilweise sogar, ihn für sein
Nichtstun zu verachten. Etwas, was später direkt wieder revidiert wird.
Ein gelungenes Spiel mit Emotionen, nicht nur im Rahmen der Handlung des
Romans.
Der größte Schwachpunkt hingegen ist das Vorwort von Stephen King. Ja, es ist sehr informativ und hat mir persönlich den einen oder anderen Autoren näher gebracht, beziehungsweise dafür gesorgt, dass ich mich näher mit ihm auseinander setzen möchte. Das ganz große "Aber" bei der Sache ist jedoch, dass King mit seinen Zeilen viel von dem vorweg nimmt, was den Leser erwartet - teilweise mit recht detaillierten Beschreibungen. Hier hätte ich mir weniger gewünscht, denn es ist schon recht schade, direkt zu Beginn - und vor allem aus der Feder von jemandem, der es eigentlich besser wissen sollte - solch umfangreiche Spoiler zu lesen.
Fazit:
"Evil"
ist sicherlich harter Stoff. Aber ein durchaus lesenswertes, sehr gut
geschriebenes Buch. Man sollte jedoch nicht erwarten, dass hier die
Blutkeule gezückt wird, sondern muss sich auf einen eher psychologischen
Horrortrip einstellen. Der Vergleich mit dem französischen Film
"Martyrs" liegt hier - nicht ganz unberechtigterweise - sehr nahe.
Bewertung: 9/10 Punkten