Donnerstag, 17. Januar 2013

Rot wie das Meer

Maggie Stiefvater – Rot wie das Meer (2012)

Erschienen im script5 Verlag



Klappentext:

Heute ist der erste November und das bedeutet, heute wird jemand sterben. Selbst im hellen Sonnenschein schillert die eisige Herbstsee in allen Farben der Nacht: dunkelblau, schwarz und braun. Ich betrachte die sich ständig verändernden Muster im Sand, zerpflügt von unzähligen Hufen. Unten am Strand, einem bleichen Streifen zwischen schwarzem Wasser und Kalkfelsen, wärmen sie die Pferde auf. Das ist niemals ungefährlich, aber die Gefahr ist auch nie so groß wie heute, am Tag des Rennens.

Jedes Jahr im November wird die Insel Thisby von den Capaill Uisce heimgesucht, Meereswesen, die in Gestalt wunderschöner Pferde Tod und Verderben bringen. Schnell wie der Seewind und tückisch wie das Meer, ziehen sie die Menschen in ihren Bann. Wie viele junge Menschen der Insel fiebert auch Sean Kendrick dem Skorpio-Rennen entgegen, bei dem sie auf Capaill Uisce gegeneinander antreten. Nicht wenige bezahlen dafür mit ihrem Leben. Das diesjährige Rennen aber wird sein wie kein anderes zuvor: Als erste Frau wagt Puck Connolly, sich einen Platz in dieser Männerwelt zu erkämpfen. Sie gewinnt den Respekt von Sean Kendrick, der ihr anfangs widerwillig, dann selbstlos hilft. Schließlich fällt der Startschuss und auch diesmal erreichen viele Reiter nicht das Ziel. Ihr Blut und das ihrer Capaill Uisce färben die Wellen des Meeres rot…



Kritik:

Ich habe lange kein Buch mehr rezensiert, aber in diesem Fall dürstet es mich danach. Ich habe das Buch bereits vor zwei Tagen ausgelesen, aber in dem seltenen Fall, dass ein Buch mich so in seinen Bann zieht und mich auch nicht mehr loslässt, wenn ich es ausgelesen habe, lasse ich gerne zwei oder drei Tage verstreichen, um die Eindrücke zur Ruhe kommen zu lassen. Eines sei gleich vorweg gesagt: man sollte sich von dem Klappentext nicht täuschen lassen. Man kann einfach nicht pauschal sagen, dieses Buch sei etwas für Pferdeliebhaber oder dieses Buch sei eben nichts für Pferdeliebhaber auf Grund seiner Grausamkeit. Man kann aber sagen: dieses Buch ist etwas für Fans der Fantasy-Literatur.

Die Geschichte von Rot wie das Meer ist nicht neu, und doch ist sie auf erfrischende Art und Weise eben doch neu. Es geht nicht um Vampire, Werwölfe, Engel oder andere altbekannte Wesen, sondern um Capaill Uisce, Wasserpferde, die auf den echten Kelpie oder Capaill Uisce (sofern man eine Legende als ‘echt’ bezeichnen kann) aus der keltischen Mythologie basieren. Es handelt sich hier um Pferde, die im Meer leben und diesem entsteigen. Sie gelten als unzähmbar und ernähren sich anders als normale Pferde von Blut und Fleisch. Kurzum: sie sind Raubtiere. Sie kommen jedes Jahr im November aus dem Meer auf die Insel Thisby, und die Einwohner der Insel nutzen diese Tatsache. Alljährlich versuchen sie, diese Geschöpfe einzufangen, so gut es geht zu zähmen und mit ihnen am Skorpio-Rennen teilzunehmen. Aber die Wasserpferde sind wild und ihr Drang ins Meer zurückzukehren ist groß, und sie sind extrem aggressiv, weshalb es immer wieder Verluste zu verzeichnen gibt. Dennoch machen die Menschen einen Riesenrummel um dieses Ereignis, denn es ist Tradition und zieht zudem die Touristen vom Festland en masse an.

Das Buch ist ein Jugendbuch, aber die Protagonisten Sean und Puck sind keineswegs Jugendliche, sondern junge Erwachsene. Und zwar solche, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und das ist es, was an dem Roman eben nicht neu ist, aber das stört den Lesespaß keineswegs. Puck lebt fernab des Rummels um das Skorpio-Rennen, denn ihre Eltern haben sie von den Wasserpferden fern gehalten und ihr und ihren beiden Brüder immer wieder äußerste Vorsicht eingetrichtert. Sie bemalt Porzellan, um sich etwas Geld zu verdienen und reitet mit ihrer kleinen Stute Dove in den Tag hinein. Dann ist da Sean, der Star und viermalige Gewinner des Skorpio-Rennens, der auf dem größten Pferdehof der Insel lebt und mit den Wasserpferden umgehen kann wie kein anderer. Sein Wasserpferd Corr gilt als das schnellste Pferd der Insel. Sean und Puck haben weder viel gemeinsam, noch kennen sie sich besonders gut. Und doch verbindet die beiden eines, nämlich die Liebe zu ihrem Pferd und zur Insel.

Die Rahmenhandlung für den Roman bildet also das Skorpio-Rennen, sowie die mehrwöchige Trainingszeit. Pucks Eltern sind ein Jahr zuvor von einem Wasserpferd angegriffen und getötet worden. Sie lebt mit ihren beiden Brüdern im Elternhaus, und die drei versuchen sich mehr schlecht als recht durchzuschlagen. Bis ihr großer Bruder Gabe ihr eines Tages eröffnet, dass er die Insel verlassen und auf das Festland gehen wird. Außerdem stellt sich heraus, dass ihr Haus nicht bezahlt ist, was Puck schließlich dazu veranlasst, in einer unüberlegten Äußerung ihre Teilnahme am Skorpio-Rennen zu verkünden. Sie hofft auf das Preisgeld, um das Haus zahlen zu können und sie hofft, Gabes Abreise hinaus zögern oder gar verhindern zu können. Doch Puck traut den Wasserpferden nicht, außerdem fühlt sie sich, als würde sie ihre Eltern verraten. Daher beschließt sie mit ihrer Stute Dove teilzunehmen. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen und womöglich spoilern, aber natürlich freundet sich Puck im Laufe der Zeit mit Sean an. Sie trifft auf Widerstand, weil die Menschen versuchen, sie daran zu hindern, das Rennen zu reiten. Das ist eben einfach nichts für Frauen. Auf der anderen Seite hat Sean den Rummel um seine Person satt. Und so kommen sich die beiden näher und helfen einander.

Die Charaktere in dem Buch sind meiner Meinung nach liebevoll gezeichnet. Man erfährt viel über die Protagonisten, aber Maggie Stiefvater scheint sich nicht im Detail verlieren zu wollen, so dass oberflächliche Informationen, die keine Rolle spielen oder nur eine kleine, eben auch das bleiben: oberflächlich. Sie zeichnet um ihre Protagonisten eine Umwelt, in der viele Nebencharaktere auftauchen, die allerdings auch nur Nebenfiguren bleiben, und das ist auch nötig, um den Fokus nicht zu verlieren. Ähnlich verfährt sie mit der Insel und ihren Umgebungsbeschreibungen. Sie erschafft ein Bild vor unserem inneren Auge, langweilt uns aber nicht mit schnöden Details. Was mir ausgesprochen gut gefiel, waren drei Dinge. Zum einen schafft es Maggie Stiefvater ganz ausgezeichnet, uns in das Geschehen eintauchen und die Welt um uns herum vergessen zu lassen. Sie nimmt uns mit in eine Welt, die wir nicht kennen, und doch fühlen wir uns wie ein Teil dieser Welt. Sie versteht es, die Handlungsstränge in einem ruhigen Tempo zusammen zu führen und die Dinge erst am Schluss zu erklären. Was ihr aber besonders gut gelingt, ist, uns die Verbundenheit zur Insel nachempfinden zu lassen. So fragte ich mich eingangs, wieso man denn auf einer Insel bleibt, auf der solche blutrünstigen Monster auftauchen. Aber irgendwann verstand ich. Die Antwort war einfach: weil man das Land liebt, weil es eine Heimat ist oder einfach aus Gewohnheit. Und nicht zuletzt, weil die Capaill Uisce, so tödlich sie auch sind, wunderschön und faszinierend sind. Der nächste Punkt ist die Deutlichkeit, mit der die Autorin klar macht, dass es sich bei einem Wasserpferd nicht um das Schmusepony von nebenan handelt. Es sind und bleiben Raubtiere, und dieser Faden zieht sich auch durch das ganze Buch. Sie sind gefährlich und tödlich, und das ändert sich zu keiner Zeit und wird immer wieder deutlich gemacht. Und damit sind wir schon bei Punkt drei: das Verhältnis zwischen Sean und seinem Wasserpferd Corr. Selbst hier wird diese Linie beibehalten, denn die beiden lieben sich, aber dennoch ist eine der Regeln, die Sean niemals bricht: Drehe ihnen niemals den Rücken zu! Die Beziehung zwischen ihm und Corr zu beobachten war aufregend, als würde man einem Dompteur bei seiner Arbeit mit den Raubkatzen zusehen. Und auch zu erfahren, dass Seans Kenntnisse über die Wasserpferde nichts mit Magie zu tun haben, sondern nur auf Aufmerksamkeit, viel Erfahrung und Übung beruhen, war ein wahnsinnig gut gelöster Zug.

Worauf ich hier noch eingehen möchte, ist etwas, dass ich in vielen Rezensionen als Bemängelung vorgefunden habe. So wurde der Roman als übermäßig brutal und quälerisch dargestellt. Und das bezog sich auf die Tiere in diesem Buch, denn so wurden beispielsweise zwei Schafe getötet, einer Katze wurde der Schwanz abgebissen (beides von den Wasserpferden), man hat eine Kuh ausbluten lassen, um mit deren Blut sein Wasserpferd zu füttern, und einer Stute wurden tödliche Verletzungen von Seans Erzfeind beigebracht. Ich muss hier widersprechen, denn die Szenen wurden entweder nicht ausgeschrieben oder nicht mehr als nötig beschrieben. Diesen Kritikpunkt also mit großem Geheule ins Gefecht zu führen, finde ich vollkommen überflüssig. Es diente der Geschichte und der Verdeutlichung von dem, zu dem die Capaill Uisce in der Lage sind. Was die Sache noch ironischer macht, ist, dass die Zahl der menschlichen Leichen und Verletzungen durch die Pferde oder durch einander viel höher ist, aber nirgends erwähnt wird. Völliger Nonsens also in meinen Augen, sich überhaupt darüber zu beschweren.

Fazit:

‘Rot wie das Meer’ ist ein Roman, der einen beeindruckt und fasziniert, weil man in eine Welt eintaucht, die man noch gar nicht kannte, aber die nicht fernab unserer eigenen Realität ist. Außerdem liebt man die Insel, ob man will oder nicht, wegen ihrer schrägen, aber liebenswerten Insulaner, ihrer Landschaft, den Wasserpferden und den Festlichkeiten um das Rennen. Maggie Stiefvater hat hier eine spannende, fesselnde und beeindruckende Geschichte geschrieben, der ein Hauch von Romantik und Liebe anhaftet. Der Liebe zwischen zwei Menschen. Der Liebe zwischen Mensch und Pferd. Und der Liebe zwischen Mensch und Raubtier. Ich würde das Buch jedem Fantasy-Fan empfehlen, auch wenn man nicht unbedingt ein Herz für Pferde hat. Es lässt einen nicht so schnell wieder los. Und obwohl ich kein Fan von Reihen bin, würde ich mir ausnahmsweise mal eine Fortsetzung wünschen. Vielleicht aber auch nicht. Manchmal soll man wunderschöne Geschichten einfach vollendet ruhen lassen.

Bewertung: 9,5/10 Punkten

oder


2 Kommentare:

  1. Eine klasse Rezension!!! "Rot wie das Meer" war eins meiner Highlights 2012!! :)
    Ich kannte deinen/euern Blog noch gar nicht, aber ich werd wahrscheinlich jetzt öfters vorbeikommen!! :)
    LG Jan

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  2. Hallo Jan,

    es war definitiv auch eines meiner Highlights. Kennst Du das, dass man das Buch ausgelesen hat und irgendwie enttäuscht ist, dass man es durch hat? Und dann folgt dieser kleine Moment, wo man tatsächlich überlegt, ob man es direkt nochmal liest? So ging es mir auch, und so geht es mir auch jetzt noch. Stattdessen habe ich jetzt aber Nach dem Sommer von Maggie Stiefvater am Wickel. Mal sehen, ob das auch so überzeugt.

    Und natürlich vielen Dank für das Lob. :)

    Liebe Grüße
    Fianna

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