Maggie Stiefvater – Rot wie das Meer (2012)
Erschienen im script5 Verlag
Klappentext:
Heute ist der erste November und das 
bedeutet, heute wird jemand sterben. Selbst im hellen Sonnenschein 
schillert die eisige Herbstsee in allen Farben der Nacht: dunkelblau, 
schwarz und braun. Ich betrachte die sich ständig verändernden Muster im
 Sand, zerpflügt von unzähligen Hufen. Unten am Strand, einem bleichen 
Streifen zwischen schwarzem Wasser und Kalkfelsen, wärmen sie die Pferde
 auf. Das ist niemals ungefährlich, aber die Gefahr ist auch nie so groß
 wie heute, am Tag des Rennens.
Kritik:
Ich habe lange kein Buch mehr 
rezensiert, aber in diesem Fall dürstet es mich danach. Ich habe das 
Buch bereits vor zwei Tagen ausgelesen, aber in dem seltenen Fall, dass 
ein Buch mich so in seinen Bann zieht und mich auch nicht mehr loslässt,
 wenn ich es ausgelesen habe, lasse ich gerne zwei oder drei Tage 
verstreichen, um die Eindrücke zur Ruhe kommen zu lassen. Eines sei 
gleich vorweg gesagt: man sollte sich von dem Klappentext nicht täuschen
 lassen. Man kann einfach nicht pauschal sagen, dieses Buch sei etwas 
für Pferdeliebhaber oder dieses Buch sei eben nichts für Pferdeliebhaber
 auf Grund seiner Grausamkeit. Man kann aber sagen: dieses Buch ist 
etwas für Fans der Fantasy-Literatur.
Die Geschichte von Rot wie das Meer ist 
nicht neu, und doch ist sie auf erfrischende Art und Weise eben doch 
neu. Es geht nicht um Vampire, Werwölfe, Engel oder andere altbekannte 
Wesen, sondern um Capaill Uisce, Wasserpferde, die auf den echten Kelpie oder Capaill Uisce
 (sofern man eine Legende als ‘echt’ bezeichnen kann) aus der keltischen
 Mythologie basieren. Es handelt sich hier um Pferde, die im Meer leben 
und diesem entsteigen. Sie gelten als unzähmbar und ernähren sich anders
 als normale Pferde von Blut und Fleisch. Kurzum: sie sind Raubtiere. 
Sie kommen jedes Jahr im November aus dem Meer auf die Insel Thisby, und
 die Einwohner der Insel nutzen diese Tatsache. Alljährlich versuchen 
sie, diese Geschöpfe einzufangen, so gut es geht zu zähmen und mit ihnen
 am Skorpio-Rennen teilzunehmen. Aber die Wasserpferde sind wild und ihr
 Drang ins Meer zurückzukehren ist groß, und sie sind extrem aggressiv, 
weshalb es immer wieder Verluste zu verzeichnen gibt. Dennoch machen die
 Menschen einen Riesenrummel um dieses Ereignis, denn es ist Tradition 
und zieht zudem die Touristen vom Festland en masse an.
Das Buch ist ein Jugendbuch, aber die 
Protagonisten Sean und Puck sind keineswegs Jugendliche, sondern junge 
Erwachsene. Und zwar solche, die unterschiedlicher nicht sein könnten. 
Und das ist es, was an dem Roman eben nicht neu ist, aber das stört den 
Lesespaß keineswegs. Puck lebt fernab des Rummels um das Skorpio-Rennen,
 denn ihre Eltern haben sie von den Wasserpferden fern gehalten und ihr 
und ihren beiden Brüder immer wieder äußerste Vorsicht eingetrichtert. 
Sie bemalt Porzellan, um sich etwas Geld zu verdienen und reitet mit 
ihrer kleinen Stute Dove in den Tag hinein. Dann ist da Sean, der Star 
und viermalige Gewinner des Skorpio-Rennens, der auf dem größten 
Pferdehof der Insel lebt und mit den Wasserpferden umgehen kann wie kein
 anderer. Sein Wasserpferd Corr gilt als das schnellste Pferd der Insel.
 Sean und Puck haben weder viel gemeinsam, noch kennen sie sich 
besonders gut. Und doch verbindet die beiden eines, nämlich die Liebe zu
 ihrem Pferd und zur Insel.
Die Rahmenhandlung für den Roman bildet 
also das Skorpio-Rennen, sowie die mehrwöchige Trainingszeit. Pucks 
Eltern sind ein Jahr zuvor von einem Wasserpferd angegriffen und getötet
 worden. Sie lebt mit ihren beiden Brüdern im Elternhaus, und die drei 
versuchen sich mehr schlecht als recht durchzuschlagen. Bis ihr großer 
Bruder Gabe ihr eines Tages eröffnet, dass er die Insel verlassen und 
auf das Festland gehen wird. Außerdem stellt sich heraus, dass ihr Haus 
nicht bezahlt ist, was Puck schließlich dazu veranlasst, in einer 
unüberlegten Äußerung ihre Teilnahme am Skorpio-Rennen zu verkünden. Sie
 hofft auf das Preisgeld, um das Haus zahlen zu können und sie hofft, 
Gabes Abreise hinaus zögern oder gar verhindern zu können. Doch Puck 
traut den Wasserpferden nicht, außerdem fühlt sie sich, als würde sie 
ihre Eltern verraten. Daher beschließt sie mit ihrer Stute Dove 
teilzunehmen. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen und womöglich 
spoilern, aber natürlich freundet sich Puck im Laufe der Zeit mit Sean 
an. Sie trifft auf Widerstand, weil die Menschen versuchen, sie daran zu
 hindern, das Rennen zu reiten. Das ist eben einfach nichts für Frauen. 
Auf der anderen Seite hat Sean den Rummel um seine Person satt. Und so 
kommen sich die beiden näher und helfen einander.
Die Charaktere in dem Buch sind meiner 
Meinung nach liebevoll gezeichnet. Man erfährt viel über die 
Protagonisten, aber Maggie Stiefvater scheint sich nicht im Detail 
verlieren zu wollen, so dass oberflächliche Informationen, die keine 
Rolle spielen oder nur eine kleine, eben auch das bleiben: 
oberflächlich. Sie zeichnet um ihre Protagonisten eine Umwelt, in der 
viele Nebencharaktere auftauchen, die allerdings auch nur Nebenfiguren 
bleiben, und das ist auch nötig, um den Fokus nicht zu verlieren. 
Ähnlich verfährt sie mit der Insel und ihren Umgebungsbeschreibungen. 
Sie erschafft ein Bild vor unserem inneren Auge, langweilt uns aber 
nicht mit schnöden Details. Was mir ausgesprochen gut gefiel, waren drei
 Dinge. Zum einen schafft es Maggie Stiefvater ganz ausgezeichnet, uns 
in das Geschehen eintauchen und die Welt um uns herum vergessen zu 
lassen. Sie nimmt uns mit in eine Welt, die wir nicht kennen, und doch 
fühlen wir uns wie ein Teil dieser Welt. Sie versteht es, die 
Handlungsstränge in einem ruhigen Tempo zusammen zu führen und die Dinge
 erst am Schluss zu erklären. Was ihr aber besonders gut gelingt, ist, 
uns die Verbundenheit zur Insel nachempfinden zu lassen. So fragte ich 
mich eingangs, wieso man denn auf einer Insel bleibt, auf der solche 
blutrünstigen Monster auftauchen. Aber irgendwann verstand ich. Die 
Antwort war einfach: weil man das Land liebt, weil es eine Heimat ist 
oder einfach aus Gewohnheit. Und nicht zuletzt, weil die Capaill Uisce, 
so tödlich sie auch sind, wunderschön und faszinierend sind. Der nächste
 Punkt ist die Deutlichkeit, mit der die Autorin klar macht, dass es 
sich bei einem Wasserpferd nicht um das Schmusepony von nebenan handelt.
 Es sind und bleiben Raubtiere, und dieser Faden zieht sich auch durch 
das ganze Buch. Sie sind gefährlich und tödlich, und das ändert sich zu 
keiner Zeit und wird immer wieder deutlich gemacht. Und damit sind wir 
schon bei Punkt drei: das Verhältnis zwischen Sean und seinem 
Wasserpferd Corr. Selbst hier wird diese Linie beibehalten, denn die 
beiden lieben sich, aber dennoch ist eine der Regeln, die Sean niemals 
bricht: Drehe ihnen niemals den Rücken zu! Die Beziehung zwischen ihm 
und Corr zu beobachten war aufregend, als würde man einem Dompteur bei 
seiner Arbeit mit den Raubkatzen zusehen. Und auch zu erfahren, dass 
Seans Kenntnisse über die Wasserpferde nichts mit Magie zu tun haben, 
sondern nur auf Aufmerksamkeit, viel Erfahrung und Übung beruhen, war 
ein wahnsinnig gut gelöster Zug.
Worauf ich hier noch eingehen möchte, 
ist etwas, dass ich in vielen Rezensionen als Bemängelung vorgefunden 
habe. So wurde der Roman als übermäßig brutal und quälerisch 
dargestellt. Und das bezog sich auf die Tiere in diesem Buch, denn so 
wurden beispielsweise zwei Schafe getötet, einer Katze wurde der Schwanz
 abgebissen (beides von den Wasserpferden), man hat eine Kuh ausbluten 
lassen, um mit deren Blut sein Wasserpferd zu füttern, und einer Stute 
wurden tödliche Verletzungen von Seans Erzfeind beigebracht. Ich muss 
hier widersprechen, denn die Szenen wurden entweder nicht ausgeschrieben
 oder nicht mehr als nötig beschrieben. Diesen Kritikpunkt also mit 
großem Geheule ins Gefecht zu führen, finde ich vollkommen überflüssig. 
Es diente der Geschichte und der Verdeutlichung von dem, zu dem die 
Capaill Uisce in der Lage sind. Was die Sache noch ironischer macht, 
ist, dass die Zahl der menschlichen Leichen und Verletzungen durch die 
Pferde oder durch einander viel höher ist, aber nirgends erwähnt wird. 
Völliger Nonsens also in meinen Augen, sich überhaupt darüber zu 
beschweren.
Fazit:
‘Rot wie das Meer’ ist ein Roman, der 
einen beeindruckt und fasziniert, weil man in eine Welt eintaucht, die 
man noch gar nicht kannte, aber die nicht fernab unserer eigenen 
Realität ist. Außerdem liebt man die Insel, ob man will oder nicht, 
wegen ihrer schrägen, aber liebenswerten Insulaner, ihrer Landschaft, 
den Wasserpferden und den Festlichkeiten um das Rennen. Maggie 
Stiefvater hat hier eine spannende, fesselnde und beeindruckende 
Geschichte geschrieben, der ein Hauch von Romantik und Liebe anhaftet. 
Der Liebe zwischen zwei Menschen. Der Liebe zwischen Mensch und Pferd. 
Und der Liebe zwischen Mensch und Raubtier. Ich würde das Buch jedem 
Fantasy-Fan empfehlen, auch wenn man nicht unbedingt ein Herz für Pferde
 hat. Es lässt einen nicht so schnell wieder los. Und obwohl ich kein 
Fan von Reihen bin, würde ich mir ausnahmsweise mal eine Fortsetzung 
wünschen. Vielleicht aber auch nicht. Manchmal soll man wunderschöne 
Geschichten einfach vollendet ruhen lassen.
Bewertung: 9,5/10 Punkten
oder


Eine klasse Rezension!!! "Rot wie das Meer" war eins meiner Highlights 2012!! :)
AntwortenLöschenIch kannte deinen/euern Blog noch gar nicht, aber ich werd wahrscheinlich jetzt öfters vorbeikommen!! :)
LG Jan
Hallo Jan,
AntwortenLöschenes war definitiv auch eines meiner Highlights. Kennst Du das, dass man das Buch ausgelesen hat und irgendwie enttäuscht ist, dass man es durch hat? Und dann folgt dieser kleine Moment, wo man tatsächlich überlegt, ob man es direkt nochmal liest? So ging es mir auch, und so geht es mir auch jetzt noch. Stattdessen habe ich jetzt aber Nach dem Sommer von Maggie Stiefvater am Wickel. Mal sehen, ob das auch so überzeugt.
Und natürlich vielen Dank für das Lob. :)
Liebe Grüße
Fianna